Kornelia Röder
Udo Rathke Flut

Die Darstellung von Naturkatastrophen ist ein Thema, das die Kunstgeschichte wie ein roter Faden durchzieht und in der heutigen medialen Welt eine völlig neue visuelle Präsenz erhalten hat. Via Satellit – direkt ins Wohnzimmer  – kommen die TV-Bilder von Vulkanausbrüchen, Erdbeben, abschmelzenden Polen, Hurricans, Taifunen, Tsunamis und von gewaltigen Überschwemmungen, deren Wassermassen Menschen und Häuser mit sich reißen. Sie rufen nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen das Gefühl apokalyptischer Endzeitstimmungen hervor. Sind diese Katastrophen Auswirkungen eines seit Jahrhunderten währenden Raubbaus an der Natur? Bereits in der Bibel wurden die Menschen für ihre Maßlosigkeit mit einer alles zerstörenden Sintflut bestraft. Der Bau der Arche Noah brachte jedoch Rettung verbunden mit einem Neuanfang in einer anderen Welt. In ihr sollten Mensch und Natur wieder im Einklang miteinander leben.

Die den Prozess des Auseinanderdriftens von Mensch und Natur zum Ausdruck bringenden Bilder von Künstlern sind vielfältig und haben sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. Vom hilflosen Ausgeliefertsein über fatalistische Schicksalsergebenheit bis hin zu Appellen, Mahnungen und die Menschheit aufrüttelnden apokalyptischen Visionen erstreckt sich das Spektrum künstlerischer Reflexion. Parallel zu diesen Endzeitszenarien entstanden aber auch Werke, in denen die Schönheit und Fragilität der Natur beschworen wird, die Refugien und Biotope erschaffen oder die vom Aussterben bedrohte Fauna und Flora für die Nachwelt dokumentieren und archivieren. Aktionen wie die Pflanzung von 7.000 Eichen von Joseph Beuys auf der documenta 7 1982 in Kassel verbanden Kunst mit einem aktiven, nachhaltigen Beitrag zur Naturregenerierung und verließen zugleich den Museumskontext.

Die von Udo Rathke speziell für die Ausstellung entwickelte und realisierte Videoinstallation Flut kreist um das brisante Thema des „Bruchs zwischen Natur und moderner Zivilisation“[1]. Seine Affinität zur Romantik und der sich mit ihr entwickelnden Naturphilosophie bildeten bereits die Basis für frühere Werke wie Clouds oder die Serien Camouflage und deluge.[2] Die 7-teilige Videoinstallation eröffnet in ihrer Komplexität die Möglichkeit, vielschichtige Zusammenhänge bildkünstlerisch zu reflektieren. Seit Jahren verfolgt Rathke den Ansatz, Malerei und bewegte Bilder in neuartigen visuellen Erlebnissen mit einender zu verbinden und steht damit in der Tradition des experimentellen abstrakten Films, der sich in den 1920er Jahren entwickelte[3]. Seine Arbeitsweise beruht auf „cut and paste“ und eröffnet ihm eine grenzenlose Freiheit für seine Bild-Neuschöpfungen. Als Bildreservoir dienen ihm sowohl das Internet, historische oder selbst produzierte Fotos und Filme als auch Reproduktionen alter Meister. Dieses Material wird von ihm fragmentiert. Fokussierte Details werden verfremdet, farblich verändert, animiert und bereits bewegte Bilder neu rhythmisiert. Anderseits paraphrasiert Rathke Bildvorlagen wie beispielsweise die pathetischen Gemälde des Malers John Martin[4], die der Künstler kürzlich in London entdeckte. Diese Transformationsprozesse lassen Bilder entstehen, deren Ursprung der Betrachter nicht mehr zurückverfolgen kann und den Rathke folgenderweise beschreibt: „Durch die teilweise Fragmentarisierung des Bildes mit ‚Bildstörungen’ und durch die Reduktion der Farbe entsteht eine Auflösung bzw. Zersplitterung der Motive“[5]. Für ihn findet darin – ebenso wie in Unschärfe und Imagination[6] – das distanzierte Verhältnis des Menschen gegenüber der Natur seinen Ausdruck.[7] Beim Betrachten seiner moving paintings hat man zuweilen den Eindruck, etwas Konkretes wie ein flammendes Inferno, eine sich aufbäumende Welle, einen Wasserstrudel, sich öffnende und wieder zusammenziehenden Quallen oder einen durch die Meere dahingleitenden Fischschwarm zu erkennen. Für einen kurzen Moment meint man, reale Bilder zu sehen, die sich nur wenige Augenblicke später in abstrakte Bildwelten auflösen. Diese kaum wahrnehmbaren Metamorphosen üben eine Faszination auf den Betrachter aus. Wie die Kreise, die ein Stein hervorruft, wenn er ins Wasser eintaucht, setzt sich der Bewegungsfluss der moving pintings als Endlosschleife beständig weiter fort. Das Spiel der Farben folgt dem Wechsel von Tempo und Rhythmus der filmischen Bildabläufe und verleiht der Videoinstallation Leichtigkeit und ästhetische Schönheit. In ihrer Struktur wurde die Arbeit weder als Folge noch als Serie oder Reihung angelegt. Unter Wahrung ihrer visuellen Autonomie verbinden, verdichten und intensivieren sich die sieben unterschiedlich konzipierten moving paintings unter dem sie verbindenden Titel Flut. In ihrem vernetzten Zusammenspiel eröffnen sie komplexe Denk- und Kontemplationsräume und stellen keine realitätsgebundenen Spiegelbilder tragischer Naturereignisse dar. In Analogie zu den von Natur- und Geisteswissenschaft diskutierten Phänomenen visualisiert auch Flut ein komplexes System visueller Eindrücke. Die Untersuchungsfelder resultieren nicht zuletzt auf Verständnis- und Kommunikationsstörungen zwischen Mensch und Natur.

In der Art, wie sich die einzelnen Bildträger übereinander schieben, sich auftürmen und die bodenverhaftete Präsentationsform verlassen, erinnert Rathkes Installation an Caspar David Friedrichs Gemälde Das Eismeer[8]. Dieses Bild wurde zum Sinnbild für das Scheitern tief greifender gesellschaftlicher Veränderungen in der Romantik. Parallelen sieht Rathke in dem vom Michel Serres[9] formulierten Naturvertrag, in dem es heißt „Tatsächlich spricht die ERDE mit uns in Begriffen von Kräften, Verbindungen und Interaktionen, und das genügt, um einen Vertrag zu schließen. Jeder der beiden symbiotisch zusammenlebenden Partner schuldet dem anderen also rechtens das Leben, bei Strafe des Todes. Das alles bliebe toter Buchstabe, wenn man nicht auch einen neuen politischen Menschen erfände.“[10]

Die Videoinstallation Flut wird im Rahmen der Ausstellung in einen Dialog mit wissenschaftsgenerierten Bildern von Johannes-Maria Schlorke aus dem OZEANEUM treten und zudem als verbindende Brücke zwischen dem OZEANEUM als interdisziplinären Kooperationspartner und dem Staatlichen Museum Schwerin fungieren. Mittels der Präsentation an diesen beiden spezifischen Orten erfährt die Arbeit von Udo Rathke eine weiterführende Kontextualisierung: zu einem im Bereich der Naturwissenschaft, zum anderen im Bereich der Kunst. Im Reigen der Werke der Schweriner Kunstsammlung setzt die Installation Flut zum einen die Tradition der bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen fort, zum anderen visualisiert sich in der Medialität der Arbeit der Bruch mit der traditionellen Malerei.
(2012)


[1]          Udo Rathke, Notizen zur Videoinstallation Flut, unveröffentlicht.

[2]          Clouds entstand 2001, die Serie Camouflage I, II, III 2009 und die Zeichnungsserie deluge 2012.

[3] Vgl. Abstraktion und lyrischer Film, in: Paul Young, Paul Duncan (Hrsg.): Art Cinema, TASCHEN, Köln 2009, S. 51-67

[4]          John Martin (1789-1854)

[5]          Udo Rathke, Notizen zur Videoinstallation Flut, unveröffentlicht. S. Anm. 1

[6]          Titel des Ausstellungskataloges und des Textbeitrags von Katrin Arrieta: Unschärfe und Imagination, Kunstsammlung Neubrandenburg und Städtische Galerie Salzburg (Hrsg.), Schwerin 2009, S11-69

[7] Vgl. Bildstörung, in: Horst Bredekamp, Birgit Schneider, Vera Dünkel (Hrsg.): Das Technische Bild, Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, Berlin 2008, S. 164-166

[8]          Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823–1824 Öl auf Leinwand, 96.7 cm × 126.9 cm, Kunsthalle Hamburg

[9] Französischer Philosoph, geb. 1930 in Agen, lehrt an der Sorbonne in Paris und an der Stanford-Universität in Kalifornien

[10] Michel Serres: Der Naturvertrag, edition suhrkamp 1665, Neue Folge Band 665, Frankfurt am Main 1994, S. 71