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Aspekt- und beziehungsreich zum Ort und zum Element "Wasser" wirken die beiden in den Boden eingelassenen Installationen von Bernd Engler. An einer Längsseite des Paradiesgartens hat der Künstler zwei verspiegelte Schächte paarweise und durch einen unterirdischen, teleskopartigen Tunnel verbunden in die Grasfläche eingebracht.
Mit dieser Konstruktion vollzieht die Installation eine transzendierende Gebärde, die Erde und Himmel verbindet. In beinahe träumerischer Wirkungsweise ändert sich bei wechselndem Tageslicht und klimatischen Schwankungen sowohl die Helligkeit und die Farbigkeit als auch die Plastizität der Spiegeloberfläche. Die Naturelemente werden in dieser Bodeninstallation nicht nur thematisch angesprochen, sondern sie sind aktive Partner eines fortwährenden Gestaltungsvorganges.
Innehaltend wird der Besucher in diesen Vorgang einbezogen. Auf der Erde stehend fällt sein Blick zum Himmel oder zu einem sich über den Nebenschacht ebenfalls beugenden Betrachter. Vor jedem Spiegelschacht erprobt er neue Blickachsen eines Vexierbilds - dabei vergessend, daß er vielleicht von einem Unbekannten auf der anderen Seite beobachtet wird. Auch mit diesem Rollenspiel des Sehens und Gesehenwerdens erweist sich die Spiegelinstallation als Medium, das Auge zu lenken. Thematisiert wird auf diese Weise die Wahrnehmungsachse des Betrachters. Ihm wird klar, daß die Installation mit Hilfe von Spiegeln räumliche Beziehungen herstellt, die zu erfahren sonst außerhalb der ihm gewohnten Wahrnehmungsachse liegt.
Konzentriert der Besucher seinen Blick jedoch auf die Unterseite des Glases, das die vier gleich großen Öffnungen verschließt, merkt er die bis dahin unbeachteten Unterschiede. Jede Schachtoberfläche ist mit einem anderen Schriftband von jeweils anderer Farbe und Form versehen. In "Gedankenräume I" ist rechts auf einem roten, oktogonalen Band der Satz "...DIE BLÜTEN ABER DUFTEN WUNDERBAR WIE EINST HIER AN DEM VERTRAUTEN ORT" zu lesen, und links auf dem grünen viereckigen Streifen : "WEISS NICHT WAS IHR FÜHLT BEI DES HERZENS LEICHTEM WANDEL" 1. Das Interesse Englers für alte japanische Dichtung spiegelt sich auch in "Gedankenräume II" wieder. Dort erscheint rechts auf dem blauen rhombenartigen Band "NUR IHR BLÜTEN FINDET KEINE RUH / MÜßT IHR DENN SO SCHNELL VERGEHN" und auf dem gelben runden Streifen: "FRIEDVOLL IST DER TAG UND AM HOHEN HIMMEL STRAHLT DER FRÜHLINGSSONNENSCHEIN" 2
Aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang entführt, lesen sich diese Sätze wie treffende, leicht ironische oder melancholische Gleichnisse auf menschliche Verhaltensmuster und Schwächen. Darüber hinaus lassen ihre Doppel- und Mehrdeutigkeiten das sichtbar Gegebene zum Auslöser für lange und komplexe Assoziationsketten werden, die aus der Nähe der persönlichen Erfahrung in die Ferne des Generellen und Allgemeingültigen führen.
Engler sieht im Wechselspiel zwischen den in seiner künstlerischen Arbeit formulierten Gedanken und den Gedanken und Empfindungen des Betrachters ein wichtiges Moment für die Existenz eines Kunstwerkes. Diese Überlegung spielt bei der Entwicklung aller seiner künstlerischen Lösungen eine wesentliche Rolle.
Auf dem Hintergrund dieser Zitate und der Wahl des "Standortes" in der Nähe der Wasserbecken des Paradiesgartens läßt sich durchaus eine Anspielung Englers auf die Spiegelbecken in japanischer Landschafts- und Gartenarchitektur vermuten. In seinen "Gedankenräumen" verweist aber der Künstler auch darauf, daß der Spiegel uns nicht eine einzige festgelegte Wahrheit, sondern eine ständig wechselnde Wirklichkeit anbietet.
Der Spiegel wird zum Reizinstrument, das den Betrachter zur direkten Partizipation herausfordert, ihn nachdenklich macht. Das Spiegelbild zeigt ihm eine verkehrte Realität und fordert ihn zur Hinterfragung seines irritierten Sehens heraus. In dieser Idee kommt beides zusammen: die Installation der Stille, die aus dem Alltag heraushebt, und die der Interaktion, die in eben diesem Alltag aktiviert wird.
Tiefe, Festigkeit und Dichte verleihen in dieser Doppelinstallation dem Spiegel mehr Glaubwürdigkeit als der Umgebung. Was in der Oberfläche erfahren wird, ist keine optische Täuschung, sondern eine visuelle und philosophische Verstärkung äußerer Realität.
(Annie Bardon)
1 Ki-No Tsurayuki, in: Als wär's des Mondes letztes Licht am Morgen. Hundert Gedichte von hundert Dichtern.
Berlin 1986
2 Ki-No Tomonori, in: Ebenda